Die Sammlung Grässlin kann nach Vereinbarung besucht werden.
Museumstraße 2
78112 St. Georgen
Telefon
Auf Anfrage geöffnet
Auf einzigartige Weise präsentiert die Stiftung Grässlin ihre international bedeutende Sammlung für zeitgenössische Kunst. Ein Besuch im KUNSTRAUM GRÄSSLIN ist Ausgangspunkt für einen geführten Entdeckungsspaziergang durch St. Georgen. Jährlich wechselnde Ausstellungen in den externen RÄUMEN FÜR KUNST gewähren den Gästen Einblick in leer stehende Ladenlokale, städtische Einrichtungen oder Privathäuser und schaffen eine eindrückliche Begegnung jenseits der pittoresken Schwarzwaldidylle.
Erwachsene: 10 €
Ermäßigter Eintritt: 8 € (Schüler, Studierende, Auszubildende, Wehr- und Zivildienstleistende, Schwerbehinderte gegen entsprechenden Nachweis)
Freier Eintritt für Kinder bis 12 Jahre, Inhaber des Museums-PASS-Musées
Alle Preise inklusive Führung.
PAINTING NATURE
Ab 3. Juli 2023 bis Ende 2024
Eröffnung am 2. Juli 2023 mit einem Empfang im Kippys da Carmine ab 14 Uhr und einem geführten Rundgang durch die Ausstellungsräume ab 15 Uhr
Ab dem 3. Juli 2023 zeigt die Sammlung Grässlin im KUNSTRAUM GRÄSSLIN und den RÄUMEN FÜR KUNST unter dem Titel PAINTING NATURE eine neue Ausstellung. Die Präsentation gibt Einblicke in die mannigfaltigen Erscheinungsformen von Natur in den Werken der Künstlerinnen und Künstler der Sammlung. Der Mensch betrachtete sich lange als Teil der Natur, in der er die göttliche Ordnung verwirklicht sah. Mit der Aufklärung, dem wissenschaftlichen und technischen Fortschritt, dem Zeitalter der Revolutionen sowie der Industrialisierung werden im 18. und 19. Jahrhundert jene Umbrüche vollzogen, die der Moderne den Weg ebnen. Der Mensch wird sich seiner eigenen Gestaltungskraft mehr und mehr bewusst und nimmt seine Umwelt nicht mehr länger als gottgegeben wahr. Indem er sie erforscht und für sich nutzbar macht, erhebt er sich zusehends über sie. Nachdem die Kunst viele Jahrhunderte im Dienst religiöser und weltlicher Macht stand, folgt auch sie als Reaktion auf diese Entwicklungen ihren eigenen Gesetzmäßigkeiten und wird autonom. Die Loslösung von der gegenständlichen Welt vollzieht sich schrittweise am Vorbild der Natur. Das Motiv wird in diesem Prozess Mittel zum Zweck, um die grundlegenden Parameter und inhärenten Eigenschaften des Bildes zu ergründen.
Jean Fautriers Gemälde Poires dans une vasque (1938) und Allée d’arbres (1927–1928), welche die Anfänge der Sammlung Grässlin markieren, stehen beispielhaft für diese Entwicklung. Durch sie lässt sich nachvollziehen, wie die Künstlerinnen und Künstler der Moderne ausgehend von traditionellen Sujets wie Stillleben und Landschaftsdarstellungen zu einer immer abstrakteren Bildsprache finden. Somit sind die Formen der Baumallee in Allée d’arbres in einem Maße in reine Farbe aufgelöst, die sich an der Grenze zum Informellen befinden und die Landschaft nur noch andeuten. Und auch in dem Stillleben Poires dans une vasque wurde der Farbwirkung mehr Bedeutung zugemessen als einer realitätsgetreuen Darstellung des Motivs. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts führt dieser Bruch mit den Konventionen zu einer noch nie dagewesenen Fülle an Stilen, Formen und
Praktiken. Genauso vielfältig wie die künstlerischen Ansätze dieser Zeit
sind auch die Manifestationen von Natur in der Kunst. Die sich ab Ende der 1960er Jahre entwickelnde Land Art führt bis dato als „arm“ und „nicht künstlerisch“ geltende, alltägliche Naturmaterialien als Werkstoff ein, wofür die Arbeit Stone Line, 1978, von Richard Long exemplarisch steht. Auf seinen Wanderungen sammelte Richard Long zunächst vorgefundene Materialien wie Fundholz und Steine und ordnete diese nach geometrischen und geologischen Vorgaben, um daraus Bodenskulpturen zu schaffen. Anhand der Bilder von Georg Baselitz, Herbert Brandl, Günther Förg, Ika Huber, Imi Knoebel und Albert Oehlen, aber auch jenen der jüngsten Künstlergeneration der Sammlung Grässlin – Andreas Breunig, Rachel von Morgenstern und Stefan Müller – wird deutlich, wie die Prämissen der gestischen Abstraktion mit ihrer organischen, der Natur entlehnten Formensprache seit der Moderne bis in die Gegenwart hineinwirken. So werden die Grenzen zwischen Gegenständlichkeit und Abstraktion immer wieder auf den Prüfstand gestellt oder aber Natur als Inspirationsquelle expressiver malerischer Gesten in den Fokus gerückt. Heimo Zobernig setzt sich in seinen Werken mit den unterschiedlichen Strömungen der Moderne auseinander und tellt ihre Paradigmen infrage. In dem titelgebenden Bild Painting Nature (2022) reduziert er die Vorstellung von Natur auf seine eigene malerische Strategie, indem er den Schriftzug „Painting Nature“ auf den abstrakten Malgrund setzt. Im Gegensatz dazu hat Herbert Brandl keine Scheu, sich mit den kitschbehafteten Sujets der Tier- und Landschaftsmalerei auseinanderzusetzen. Mit einer Bildsprache, die sich zwischen Abstraktion und Einfühlung bewegt, macht er das Genre in der zeitgenössischen Malerei salonfähig. In den Werken von Cosima von Bonin, Henning Bohl, Mark Dion, Martin Kippenberger, Hans-Jörg Mayer und Tobias Rehberger erhalten Naturerscheinungen eine symbolische oder metaphorische Bedeutung. So verweisen zum Beispiel die Pilze von Cosima von Bonin auf deren ambivalente Bedeutung als Schutzschirm, als Träger halluzinogener Wirkstoffe oder als Symbol von Männlichkeit. Während Hans-Jörg Mayers Tulpenbilder die Frage aufwerfen, ob die in holländischen Gewächshäusern kultivierten und als Massenware in Discountern wie Aldi und Lidl verkauften Tulpen überhaupt noch als Natur betrachtet werden können, befragt Mark Dion mit seiner Library for the Birds of Antwerp (1993) die kulturelle Repräsentation von Natur in einer Welt, in welcher der Mensch sie sich zu eigen macht und sich grenzenlos an ihr bedient.
PAINTING NATURE zeigt eindringlich, dass es das ‚eine‘ Bild von Landschaft und Natur nicht gibt. Die Herausforderung liegt in der Kunst wie im Leben gerade darin, immer wieder von Neuem mit jeder neuen Generation nach dem gegenwärtigen Bezug zwischen dem Menschen und der Welt zu fragen.
Im Bereich der Gegenwartskunst sind in den vergangenen Jahren eine Reihe beachtenswerter Privatsammlungen gewachsen, deren herausragendes Kennzeichen der direkte Kontakt des Sammlers mit den Künstlern seiner eigenen Generation und ihren Werken ist. Die Familie Grässlin gehört zu diesem Kreis von Sammlern. Im Gegensatz zu anderen Privatsammlungen kann man die Sammlung Grässlin jedoch als ein Gruppenunternehmen, als eine Art Kollektiv sehen, an dem die fünf Familienmitglieder – Anna, Bärbel, Thomas, Sabine und Karola – beteiligt sind und in dem sich die unterschiedlichen Positionen widerspiegeln.
Die Wurzeln der Sammlung Grässlin liegen in den 70er Jahren, als die Eltern Dieter und Anna Grässlin begannen, Werke des deutschen Informel zusammenzutragen. Dass es sich hierbei um Namen handelt, die heute klassische kunsthistorische Werte verkörpern, wie z. B. Carl Buchheister, Jean Fautrier, Karl Otto Götz, Gerhard Hoehme, Emil Schumacher oder Wols, spricht für den Mut und die Weitsicht des Ehepaares Grässlin. Ihre Kinder begannen 1981, Künstlerpositionen der 80er Jahre zu sammeln. Ihr Augenmerk richtete sich erneut auf die Kunst der unmittelbaren Gegenwart, worin sich auch der Glaube an die Kräfte dieser Kunst äußerte, gleichzeitig aber auch das Bedürfnis, sich mit dem Neuen auseinanderzusetzen. Ein riskantes Unterfangen, denn die Kunst der 80er Jahre, für die sie sich entschieden, war keineswegs gefällig und bei weitem nicht unumstritten. Vielmehr wurden Werke von Werner Büttner, Martin Kippenberger, Albert Oehlen und Markus Oehlen wie auch die plastischen Arbeiten von Günther Förg, Isa Genzken, Georg Herold, Hubert Kiecol, Meuser, Reinhard Mucha oder Franz West als sperrig, zynisch oder gar anmaßend empfunden, handelte es sich doch um Positionen, die durch Ironie und Desavouierung dem bürgerlichen Verständnis von zeitgenössischer Kunst widersprachen.
Aber nicht nur die Werke allein, sondern auch die Kontakte zu den Künstlern, aus denen auch Freundschaften entstanden, rückten von Anfang an in den Vordergrund des Interesses. So lebte zum Beispiel Martin Kippenberger von 1980 bis 1981 und von 1991 bis 1994 bei der Familie Grässlin in St. Georgen und fand hier eine Wahlheimat, in die er immer wieder zurückkehrte. In dieser Zeit schuf er in der Bergstadt Schlüsselwerke, die einen wichtigen Grundstock der Sammlung Grässlin bilden.
Seit Anfang der 90er Jahre wird die Sammlung durch internationale Positionen wie Kai Althoff, Michael Beutler, Cosima von Bonin, Tom Burr, Clegg & Guttmann, Mark Dion, Kalin Lindena, Michael Krebber, Christian Philipp Müller, Stefan Müller, Tobias Rehberger, Christopher Williams oder Heimo Zobernig erweitert, die sich mit konzeptionellen Fragestellungen und Ortsbezogenheit auseinandersetzen.
Das Konzept der Sammlung Grässlin zeichnet sich dadurch aus, dass die Familienmitglieder sich auf ausgewählte Künstler der 80er, 90er und 2000er Jahre konzentrieren, von denen sie Werke aus allen wichtigen Schaffensphasen zusammentragen. Oft handelt es sich dabei um raumgreifende Werkblöcke, die mehr in den Museumskontext als in eine Privatsammlung passen. Umso wichtiger war es für die Familie Grässlin, durch die Errichtung des KUNSTRAUMS GRÄSSLIN im Jahr 2006 die Sammlung der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Das Konzept der Sammlungspräsentation setzt auf eine Vernetzung mit der lokalen Stadtstruktur.
Neben dem neu errichteten KUNSTRAUM GRÄSSLIN besteht bereits seit 1995 das Projekt RÄUME FÜR KUNST, das leer stehende Ladenlokale, aber auch den Plenarsaal des Rathauses, den Stadtgarten sowie die Privathäuser der Familienmitglieder als Ausstellungsorte nutzt. Der Museumsbesuch wird so zum Stadtspaziergang. Im jährlichen Wechsel werden im KUNSTRAUM GRÄSSLIN und in den externen RÄUMEN FÜR KUNST Werke aus dem Sammlungsbestand präsentiert, um so ein subjektives, aber repräsentatives Panorama des heutigen Kunstschaffens zu bieten.